Hier eine Meinung dazu von einem Bekannten von mir. Sie deckt sich zum großen Teil mit meiner.
Tag 1 nach Live8 und ich warte auf das prickelnde Gefühl, bei einem Ereignis dabei gewesen zu sein, das unauslöschlich in Herz und Kopf eingebrannt ist. Aber irgendwie will es sich nicht einstellen. Nach Wochen der Freude und Spannung auf das größte Konzert aller Zeiten, habe ich Bilanz gezogen und mich gefragt, was diesmal schief gegangen ist. Nachdem ich Auszubildenden eine lange Nase gezogen und ihnen schadenfroh mitgeteilt habe, dass es nicht immer eine Gnade ist, zu spät geboren zu sein; ich gleichaltrige Kollegen gefragt habe, wo sie am 13.07.1985 gewesen sind, werde ich wohl morgen gefragt werden, wie man so viel Wind um eigentlich gar nichts machen kann. Wie soll ich erklären, dass früher alles besser war?
Doch wo kommt sie her, die große Enttäuschung? Phoenix und Bayern3 haben simultan von Anfang bis Ende (na ja, beinahe) in TV und Radio live (na ja, beinahe) übertragen. Es wurde zwischen den einzelnen Ländern so hin- und hergeschaltet, dass einem nicht ein einziger Künstler entgeht (okay, beinahe!) und hey!, sie waren alle da (jaaaa, beinahe!!!). Und nicht nur das, sie waren auch geil… meine Jungs von Duran Duran mit spitzen Sound und großer Stimme (von Simons, dem Ereignis angepassten, Leibesfülle und der daraus resultierenden leichten Trägheit mal abgesehen), R. E. M. (cooles Make-Up), Madonna (toller Arsch), U2, Elton John, The Who, McCartney, Sir Bob und natürlich den wiedervereinigten Pink Floyd (David Gilmores Kopf ist definitiv breiter, als Simons)! Und was war noch? Hm, hab ich vergessen. Is ja auch schon ein paar Stunden her! Ach so, Sting mit einem Ausschließlich-Repertoire von Songs, die man ob ihrer Omnipräsenz im Dudelfunk nur noch abgrundtief hassen kann, einem Peter-Gabriel-Double (das ihm aber überhaupt nicht ähnlich sah) und Morten Harket mit, glaub ich, nur noch einem halben Stimmband (hat jemand von einer Operation gelesen?).
Tja, das waren die großen Alten, die ich da aufgelistet habe und was ist mit den jüngeren Musikergenerationen? Meiner Meinung nach nichts! Als Ausnahme von der Regel kann hier lediglich Robbie Williams Erwähnung finden, der einzig das Potential eines Rockstars ausschöpfte und wie weiland Freddie die Massen in Verzückung und zum Toben brachte.
Bei diesem Live8-Spektakel offenbart sich das ganze Dilemma der Musikindustrie. Sicherlich standen da sehr viele talentierte Musiker auf den Bühnen der Welt, aber wo war das Besondere, das Schillernde, das Individuelle? Mir bleiben im Großen und Ganzen hiphoppende, „hey-yo“-„come-on“-rufende Schwarze mit Pudelmütze in Philadelphia und beatlesverschnittene, ihre E-Gitarren malträtierende Weiße mit Fettfrisur in London in Erinnerung – und ein paar billige Kopien dessen, was Amis und Briten seit Jahren am Fließband produzieren im Rest der Musikwelt. Für wirklich keine dieser Bands hätte ich Eintritt zahlen wollen. Was auf CD schon nicht weiter reizt, wirkte live runtergespielt noch farbloser. Vor 20 Jahren wäre keiner der Musiker über den Roadie-Job hinaus gekommen.
Ich vermute jedoch, der Zweck von Live8 wurde allgemein falsch verstanden. Es geht nicht um Afrika sondern um den Zustand der Musiklandschaft. Schlimmer als die Bilder aus Afrika waren die Bilder von den Konzertbühnen und der dort bemühten Akteure. Obwohl diesmal kein Geld gesammelt werden soll, habe ich spontan für die Musikindustrie gespendet. Das Leid war unübersehbar! Vor allem in Philadelphia war die Katastrophe in einem Ausmaß sichtbar, das mich fürchterlich erschreckt hat. In einem Moment dachte ich, wer hat die geklöppelte Klorolle auf die Bühne geschoben, bis ich merkte, das ist Stevie Wonder! In jedem Fall wurde hier klar, dass die Spiegelkritik an Live8 berechtigt ist. Bei Stevie Wonder wurden weiße Arroganz und Rassismus besonders deutlich. Denn nur Rassisten konnten den Mann mit der Tischdecke und diesem Bart (sah aus, als hätte er jemanden in den Arsch geblasen) auf die Bühne schicken.
Wer war eigentlich der Typ mit dem selbstgemachten No-Poverty-T-Shirt in Philly? Hat ihn irgendjemand erkannt? Weiß irgendwer, was er dort auf der Bühne wollte? Kann es sein, dass das Hape Kerkeling in Verkleidung für eine neue Folge von „Darüber lacht die Welt“ gewesen ist? Ich weiß es nicht!
Nun ja, so zog es sich hin. Junge Musikergenerationen ohne Charisma und Esprit wechselten sich mit alten Hasen ohne wirkliche Begeisterung für die Sache ab (haben Jagger und Bowie das Desaster erahnt und deswegen unter fadenscheinigen Begründungen abgesagt, und hat Elton John – der sonst die Stadien mit stimmungsvollen Balladen verzaubert – seine Wut mit Saturday Nights’ Alright For Fighting herausgeschrieen?).
Zu keiner Zeit hatte ich das Gefühl bei etwas Besonderem dabei gewesen zu sein. Und so einleuchtend die Idee für die Größe der Veranstaltung ist, so wenig Spaß hat es mir als Zuschauer gemacht, diesem Wirrwahr aus Schaltungen und zeitlich unzusammenhängenden Auftritten zu folgen. Von Live-Charakter schon sehr früh keine Spur mehr, da es unmöglich war so viele Stars und Sternchen aus zig Ländern koordiniert unter einen Hut zu bringen (von The Cure und Placebo habe ich nicht eine einzige Haarspitze gesehen). Der jeweilige Abschluss des Großereignisses aus Philadelphia und Berlin wurde mir fernsehtechnisch vorenthalten. Überhaupt – kann es sein, dass es in Deutschland nicht möglich war den kompletten deutschen Beitrag aus Berlin über TV zu verfolgen? Ist bekannt, ob es Vergleichbares in den anderen Ländern gab? Vielleicht sollte das aber auch so sein. Schließlich muss man den Menschen einen Grund liefern, die länderspezifischen DVDs (und auch CDs?) im November zu kaufen – am besten sämtliche Versionen. Ist ja auch okay, ist ja für den guten Zweck!
Aber nein, es hat mir wirklich nicht gefallen!
Yours
After Eight