@suk:
Ich akzeptiere gerne, daß sich die Zeit weiterdreht. Es wäre ziemlich bescheuert, heutige technische Möglichkeiten nicht zu nutzen. Ich wünsche mir auch gar nicht, daß irgendwer wieder mit 256 Farben ankommt.
Und warum soll ich normale Adventures nicht mit Infocom-Spielen vergleichen? Hier wie dort liegen die exakt gleichen Spielmechanismen zugrunde, und hier wie dort steht und fällt das Spiel mit der Story und der Atmosphäre. Natürlich ist es komfortabler und zeitgemäß, wenn ich SEHEN kann, daß die Spielfigur nen Schlüssel aufhebt, aber daß das äquivalent zu Infocom's "take key" ist, steht doch außer Frage. Ich hab ja jetzt nicht Tunguska mit Lunar Lander oder Summer Games verglichen.
Und daß "die Zeiten vorbei" sind in punkto Humor auf Lucasfilm-Niveau, liegt doch nur daran, daß er einfach nicht anvisiert wird. Technisch sind irgendwelche Zeiten natürlich immer mal vorbei, aber doch nicht inhaltlich. In der ganzen Pop-, Film- und Modeindustrie wird doch dauernd das ganze letzte Jahrhundert recyclet, obwohl die Zeiten vorbei sind. Die Floskel greift doch wirklich nur in Bereichen wie "Sprachausgabe statt Textbildschirm". Hol dir ein paar gute Gagschreiber ins Team, dann hast du auch wieder mehr oder besseren Humor im Spiel.
Und welche Firmen jetzt auf welche Art den Verlauf des Genres beeinflußt haben, ist mir eigentlich egal. Ich kenne halt bestimmte Spiele und vergleiche sie ganz automatisch miteinander. Wer Warblade spielt, wird das ja wohl auch unwillkürlich mit Galaga vergleichen.
Klar, die Ansprüche haben sich in technischer Hinsicht geändert, damit habe ich auch kein Problem. Mein Problem ist, daß sie sich offenbar in inhaltlicher Hinsicht verringert haben. Schöne Grafik, tolle Sounds und "Cutscene-Cinema" darf man auch mir bieten, aber wenn mich das eigentliche Spiel nicht packt, begeistern mich die Effekte auch nicht sonderlich.
Tunguska
hat eine tollen Mystery-Crime-Plot, aber dazu gehört doch eigentlich die Erzeugung einer gewissen Spannung. Man sieht überall im Spiel, daß die erzeugt werden soll, aber ich zumindest hab mich bisher nirgendwo im Spiel auch nur ansatzweise gegruselt.
Und die Charaktere sind etwas blass. Man steuert die hundertste schöne junge Heldin und den hundertsten schönen jungen Helden (ich glaube, Max spielt man dann auch noch, oder?) durch die Gegend. Wieso nicht mal einen alten Alki spielen? Wieso keine Supermarkt-Kassiererin, keinen indischen Waisenknaben oder Voodoopriester aus Benin? Nach 30 Jahren Adventures könnte man doch mal interessantere Spielfiguren bieten.
Und daß Spiele eben auch Geschichten erzählen, merkt man nicht erst, seit sie zehnminütige Videos haben. Steinige mich, aber das merkt man schon seit Infocom.
Retro-Hardliner darfst Du mich meinetwegen auch nennen, schließlich interessiere ich mich tatsächlich nur für die ollen Kamellen. Aber in technischer Hinsicht bin ich keiner. Tolle Grafik, toller Sound, neue Controller, bitte, immer her damit - aber daß Inhalt über Form siegen sollte, ist doch kein unzeitgemäßes Retrotum. In allen Medien, ob Malerei, Film, Literatur, Spiel oder sonstwas, sind doch die Produkte am besten, die formal
und inhaltlich überzeugen.
Beispiel Tunguska: Die Cutscene zwischen Berlin und Moskau ist natürlich opulent, aber um den Plot voranzutreiben, hätte man von all dem Gelaber die Hälfte streichen können. Es erzeugt keine Spannung, sondern tötet sie, wenn der zwielichtige Russe in der Limousine Nina den siebzehnten banalen Kommentar hinspricht.
Ich
weiß, daß man technisch heute mehr bieten muß. Aber in welchem modernen Adventure wird man in einen Gorilla verwandelt, eingesperrt und entkommt nur, indem man das Gorillaweibchen durchvögelt? In welchem modernen Adventure besteht ein Screen aus "left side of fat lady" und der nächste aus "right side of fat lady"? In welchem heutigen Adventure wird man vom Spiel selbst angelogen bezüglich der Ausgänge im Screen?
Wenn Du meinst, das sei alles nicht witizg und Du bräuchtest es nicht, gut. Für mich sind es solche originellen Ideen, die mich an Spielen faszinieren, und die auch in heutige Spiele problemlos einzubauen wären. Aber die Ideen muß man halt haben und in die Tat umsetzen. Und das ist auch heute möglich, passiert aber offenbar nicht.
@Stephan:
Deins muß ich jetzt erst noch lesen...