Ja Kinder, einmal mehr brauche ich Eure Hilfe für ein neues Projekt. Der Trend geht ja bekanntlich zum Zweitbuch, und genau da setzt dieser Thread an. Ihr habt's ja schon gemerkt, dass mir die deutsche Sprache sehr am Herzen liegt, und daher dieses Projekt. Ich könnte mir vorstellen, dass der eine (sic!) oder andere von Euch hier Etliches beitragen könnte. Ich stelle jetzt einfach mal den kompletten Anfang hier rein - mit der Bitte um Rückmeldung und weitere Ideen von Euch. Wenn's klappt, soll dies hier später in Buchform veröffentlicht werden, daher brauche ich noch weitere Inspiration. Ideen hole ich mir aus meiner täglichen Lektüre von Zeitungen, Zeitschriften, Büchern und Wochenblättern sowie aus Internet, Funk und Fernsehen. Wäre schon toll, wenn Ihr mir dabei helfen würdet!
PearsonDie Sprachpanscher…und andere Polemiken. VorwortEs reicht. Ich habe die Nase voll. Ich bin genervt. Ich habe die Faxen dicke.
Goethe, Schopenhauer, Nietzsche, Thomas Mann, die Gebrüder Grimm oder - etwas aktueller – Günter Grass sind Namen, die die deutsche Sprache geprägt haben, die sich eines Instruments bedient haben, das uns nicht zuletzt auch dank der überragenden Fähigkeiten dieser Menschen im Umgang mit ihm in hoher Präzision dienlich sein kann.
Die deutsche Sprache ist schwer zu erlernen, das ist eine Binsenweisheit. Wer sie aber beherrscht, wie die oben angeführten Beispiele, der bereitet nicht nur mir großes Vergnügen. Ein gutes Buch zu lesen kann eine große Wonne sein (wann hat eigentlich zuletzt jemand dieses Wort benutzt?). Ein schlechtes Buch, ein unsauber recherchierter oder lektorierter Zeitungsartikel hingegen landet im besten Falle im Papierkorb und gerät ganz schnell in Vergessenheit.
Leider scheint dieses Schicksal aber auch das Präzisionsinstrument Sprache zu treffen. Wir sind dabei, in einer einzigen Generation einige Jahrhunderte Hochdeutsch leichtfertig zu verspielen. Zeitungen werden schlampig geschrieben und gelesen, Schundbücher überschwemmen den Markt (wer braucht eine Biographie von Dieter Bohlen?). Und dank der Segnungen der Technik findet Kommunikation heute zunehmend online statt, verbunden mit der uns zunehmend ereilenden Sprachkatastrophe.
Nehmen Sie dieses Büchlein wie es ist: Vielleicht das letzte Aufbäumen gegen die scheinbar längst nicht mehr zu stoppende Verwurstung des Kulturguts deutsche Sprache.
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„Bild’ Dir Deine Meinung“
Es geistert immer noch das Gerücht, dass die „Bild“ sich nicht Zeitung nennen darf. Da soll es mal ein Gerichtsurteil gegeben haben. Das allerdings ist nicht wirklich auffindbar. Anfangs hieß das Blatt ja auch mal „10-Pfennig-Bildzeitung“. Wohl um (damals) eine Dachmarke für weitere Produkte zu schaffen, heißt Springers eine 3,4- Millionen-Auflage verzeichnende Publikation nun schon seit Jahrzehnten schlicht „BILD“.
Um die politischen Absichten, die hinter dem Boulevardblatt stehen, soll es hier nicht gehen. Das haben andere schon geleistet. Hierfür gebührt besonders Günter Wallraff Dank.
Hier geht es um Sprache, und da spielt ebendiese „Bild“ eine traurige, manchmal aber auch erheiternde Rolle. Die Sprache der „Bild“ ist einfach, oft auch zu einfach. Deutsch wird hier nur mehr auf das äußerst Notwendige reduziert, das überhaupt noch eine Aussage möglich macht. Zeitweise werden ohne Rücksicht auf Grammatik und Stil Informationsbröckchen aneinandergereiht.
Das Ziel Axel Springers, eine schnell lesbare und unterhaltsame Zeitung zu schaffen, haben seine Chefredakteure und ihre jeweilige Mannschaft oft erfolgreich übererfüllt. Flexion und Präpositionen? Überflüssig. Vollständige, sauber durchformulierte und längere Sätze? Luxus.
Stattdessen gibt’s Hypothesen, Superlative, spärlich bekleidete Damen, Schlagwörter und Vorverurteilungen satt. Wenn man von Volkes Stimme sprechen mag, dann ist die „Bild“ das Stimmband der Nation. Mehr als 11 Millionen Menschen lesen täglich ausschließlich den Sportteil des Springer-Blatts. Wer’s glaubt…
Amüsant könnten sie allerdings schon sein, die sprachlichen Grausamkeiten der „Bild“ – wenn sie nicht allzu oft auf Kosten einzelner, häufig auch prominenter Menschen gingen. Da wird aus Prinz Ernst-August wahlweise der „Prügel-Prinz“ oder der „Schamlos-Prinz“ gemacht, oder der – allerdings wirklich kreative – Begriff „Samenraub“ geprägt (und damit zwischen den Zeilen Herr Becker veralbert). Aus den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts ist mir noch der Begriff „Ramba-Zamba“ in Erinnerung. Es ging damals um den temporären Positionswechsel von Franz Beckenbauer und Günter Netzer in der deutschen Fußball-Nationalmannschaft.
Wie letzteres, haben etliche Begriffe aus der „Bild“-Schlagwortfabrik Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch gefunden. „Blitzeis“ kann ich noch gut als ein auf eine Kurzformel reduziertes Faktum akzeptieren, das sexistische Schlagwort „Boxenluder“ hingegen bestätigt mich einmal mehr in meinem Urteil über Springers Postille als zumindest einen der bedeutenden Totengräber der deutschen Sprache.
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In meinem beruflichen Werdegang finden sich auch einige Jahre Tageszeitungs-, Wochenblatt- und Illustriertenerfahrung. Da diese beginnend in den späten Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts gesammelt wurde, hatte ich das aus heutiger Sicht gleichermaßen wertvolle wie informative Vergnügen, Zeitungsproduktion „von Hand“ erleben zu dürfen. Als verantwortlicher Redakteur der Lokalausgabe eines überregionalen Wochenblatts wohnte ich jeweils dienstags dem Umbruch bei, dem Zusammenstellen (neudeutsch „Layouten“) des Blatts vor dem eigentlichen Druck.
Dabei konnte ich den kompletten Entstehungsprozess hinter den Kulissen verfolgen. Das funktionierte anfangs so: In meinem Schleswiger Büro setzte ich mich an die Schreibmaschine und schrieb auf speziell vorformatiertem Papier den jeweiligen Artikel plus Dach- und Schlagzeile, bereits mit der vorgesehenen Schriftgröße und dem passenden Schriftschnitt versehen. Das fertige Blatt wurde anschließend nach Flensburg zur Texterfassung gefaxt. Dort saßen in einem relativ dunklen Raum einige Damen und Herren, die ebendiese Texte noch einmal abtippten, diesmal in ein zentrales Texterfassungssystem.
Von dort ließen sie sich dann über grüne Monochrom-Bildschirme wieder aufrufen und dann auch auf Wachspapier ausdrucken. Dann gingen diese Texte zur nächsten Abteilung. Die Korrekturleser kontrollierten jeden Text noch einmal im Zeitlupentempo auf Fehler. Erst dann kam die Freigabe zum Druck, mit dem Resultat, dass man Fehler in den fertigen Produkten tatsächlich mit der vielzitierten Lupe suchen musste. Waren das noch Zeiten!
Das ist jedoch, zumindest was diesen Verlag betrifft, Geschichte. Die Texterfassung, beziehungsweise -eingabe, erfolgt heute generell durch den jeweiligen Redakteur. Auch das Layout findet am Computer statt, während es zu meinen Zeiten noch per Hand, mit Skalpell und Heißwachs als Kleber, durchgeführt wurde, und dies von speziell hierfür eingesetzten Mitarbeitern, die heute natürlich längst eingespart worden sind. Das heutige Resultat ist, zumindest aus meiner Sicht, eine mittelschwere Katastrophe. Kaum ein Artikel erscheint noch ohne hanebüchene Rechtschreibfehler, ganz zu schweigen von grammatischen Irritationen schwersten Ausmaßes.
Anfangs habe ich mich noch köstlich amüsiert über den einen oder anderen Lapsus. Über zwischenzeitliches, auch gerne mal peinlich berührtes Kopfschütteln bewegt sich mein Zeitungsleser-Gefühlsleben aber nun zunehmend hin zu extremeren Gefilden wie Ekel und Wut. Mein Gott, gibt es denn niemanden, der einfach noch mal nachliest, was die Kollegen da gerade geschrieben haben? Ist es zu viel verlangt, einfach noch mal Korrektur zu lesen? Wir haben es hier mit einem wertvollen Kulturgut zu tun! Die deutsche Sprache ist kein beliebiger Selbstbedienungsladen; wer Texte schreibt und öffentlich macht, hat die verdammte Pflicht, dies auch richtig zu tun!
Wenn ich jemals solche Klopse wie „Die Gruppe, deren beste Zeiten (…) liegen, krönte seine Karriere mit dem Album…“ veröffentlichte, würde ich umgehend den Computer herunterfahren und aus dem nächstgelegenen Fenster befördern. Seriöse Berichterstattung sieht anders aus.
Zuletzt auch gerne benutzt: „Der ein oder andere Fehler trat auf, als…“. Bittebitte, gönnt mir auch in Zukunft das eine fehlende „e“, bzw. „en/em“! Ich wiederhole mich an dieser Stelle gerne: Der Umgang mit der deutschen Sprache kann so erbaulich sein, das Lesen eines guten Buches so viel Vergnügen bereiten – verderbt mir nicht den Tag mit diesem allgegenwärtigen Sprachpfusch!
Ein reales Beispiel gefällig? Bitte sehr: „Schleswiger Nachrichten“, Donnerstag, 5., Freitag, 6. April 2007, Seite 17: Da gibt es einen sechsspaltigen Bericht über eine geplante „Verlässliche Schule“ im schönen Dörfchen Busdorf bei Schleswig. Der Anreißertext über dem eigentlichen Artikel hat es in sich: „Mit mehr als 200 Schülern gehört die Grundschule Busdorf zu einer der größten im Kreisgebiet.“ Aha.
Leider finde ich im weiteren Text nicht ein einziges Wort über die im Anreißer erwähnte Schule, zu der die Grundschule Busdorf gehört. Mannmannmann, ist es denn so schwer, so etwas präzise und unmissverständlich auszudrücken?
Ich gehe mal davon aus, dass es so heißen müsste: „Mit mehr als 200 Schülern gehört die Grundschule Busdorf zu den größten im Kreisgebiet“. Und derlei missverständliche und offensichtlich mal eben so daher geschluderte Formulierungen finden sich mittlerweile zu Dutzenden, zu Hunderten; ach was, zu Tausenden in Büchern, Zeitschriften und Zeitungen.
Fundort Internet,
www.gmx.de (07.05.07): „Schummeln was das Zeug hält? Die Versuchung ist groß, bei der Steuer zu tricksen. Doch Vorsicht, das Finanzamt lässt sich nicht so leicht lumpen.“ Aha. Das ist mir neu. Vielleicht sollte ich mal meinen Sachbearbeiter aufsuchen, damit er mir endlich mal Einiges bei meiner Steuererklärung durchgehen lässt. Zumindest könnte er mir ja mal einen ausgeben…
Fundort Schleswig-Holsteinischer Landtag, 09.05.07. SPD-Fraktionschef Lothar Hay sagte nach einem koalitionsinternen Richtungsstreit ums liebe Geld: „Die zusätzlichen Einnahmen, die - durch
Steuerprognosen - uns erwarten, werden wir in erster Linie in den Abbau der Neuverschuldung reinstecken müssen.“ Aha. Das Land Schleswig-Holstein ist also in der Lage, über Prognosen Einnahmen zu generieren. Donnerwetter! Ich habe natürlich sofort versucht, mir meinerseits großartige Einkünfte zu prognostizieren. Allein, es floss nicht ein einziger zusätzlicher Euro auf mein Konto. Schade. Nehmen wir zu Herrn Hays Gunsten also einmal an, dass er eher meinte, nach Prognosen seien Einnahmen zu erwarten gewesen…
Fundort „Moin Moin-Wochenblatt“, 02.05.07: Einer von vielen Jubel-Vorberichten über die Landesgartenschau 2008 in Schleswig. „77 Sumpfeichen die ‚Brillenkönig’ Günther Fielmann makieren zwischen Dom und Schloss Gottorf die Ostwestachse.“ ???? Ein herrlicher Satz! Ich nehme einfach mal an, dass „markieren“ gemeint ist. Aber wer „makiert“ hier wen? Das Genus von „Brillenkönig“ ist männlich, also müsste es „der, des, dem oder den Brillenkönig(s)“ heißen. Wenn nun der „Brillenkönig“ markieren sollte, müsste es „makiert“ heißen. Gehen wir aber davon aus, dass die 77 Sumpfeichen das Subjekt sind, dann ist das Verb als Prädikat so, wie es dasteht (bis auf den Rechtschreibfehler…) in Ordnung. Nur: was soll dann das „die ‚Brillenkönig’ Günther Fielmann“ dazu bedeuten? Für eine attributive Bestimmung oder gar eine Apposition hätte der Autor Kai Labrenz (bei der Bildunterschrift gelingt es den Wochenblatt-Machern noch nicht einmal, den Name ihres Autoren richtig zu schreiben: „Foto: Labrens“) zumindest ein passendes Komma hinter die Sumpfeichen setzen müssen. Dann fehlt noch ein knackiges Verb hinter Herrn Fielmann, und schon haben wir einen vollständigen deutschen Satz. Wie klingt das: „77 Sumpfeichen, die ‚Brillenkönig’ Günther Fielmann gestiftet hat, markieren die Ost-West-Achse.“
Fundort „ACELenkrad“, Mitteilungsorgan des AutoClub Europa. Heft 5, 15. Mai 2007, Seite 45. Da wird Deutschland deutlich größer gemacht. Unter „Bauboom auf Sylt“ informiert uns die Redaktion über rege Bautätigkeit auf der Schicki-Micki-Insel: „Acht neue Hotels mit rund 700 Inseln entstehen in den kommenden Jahren auf Deutschlands viertgrößter Insel.“ Aha. Was ein Riesenprojekt…
Und das Moin Moin-Wochenblatt entwickelt sich immer mehr zu einer meiner Lieblingslektüren. Ausgabe vom 23.05.07: Wieder ist es der gelernte Bauzeichner Kai Labrenz, der sich gemeinsam mit Pia Klatt ja auch schon erste Meriten als Buchautor erworben hat. Papier ist bekanntlich geduldig. Sein Artikel bezieht sich auf eine geschichtsträchtige Veranstaltung in Schleswig.
„Zahlreiche Besucher erlebten am vergangenen Wochenende rund um dem historischen Rathaus eine Zeitreise ins Mittelalter. Zum zweiten Mal veranstaltete, Holger Rohde von ‚Tross und Trubel’, und Matthias Barkmann, das mittelalterliche Markttreiben hinter den Kulissen vom Graukloster…Er hatte für den Bürgermeister zum Dank, auch ein Geschenk mitgebracht… Anschließend gingen sie gemeinsam über dem Marktplatz… Simon und Laif (?), waren mit ihren Eltern…gekommen, um selbst ein Lederbeutel herzustellen. Die Spielleute…musizierten ihre eigenen Kompositionen. Große Begeisterung beim Publikum waren die Gerichtsverhandlungen…Sie folgt den aerodynamischen Gesetzen, die einst Da Vinci, der sein Leben der Kunst der Forschung, Philosophie und dem Ingenieurwesen widmete,“
Hier endet der Text des bedauernswerten Autors, bei dem wohl irgendein letztendlich auf ewig ungenannt bleibender Lektor/Redakteur die Schere angesetzt und den Text bis kurz vor die absolute Unkenntlichkeit verstümmelt hat.
„Rund um dem historischen Rathaus…“: Schon während ich dies abschreibe, umpuschelt mein Textverarbeitungsprogramm das Ganze mit wohltuend sanften, grünen Kringeln (haben andere Benutzer keine Rechtschreib- oder Grammatikkorrektur?). Bittebitte, liebe Zeitungs-, oder wahlweise auch Wochenblattmacher dieser Welt, gönnt mir meinen Akkusativ! Rund um das historische Rathaus – war das jetzt so schwer?
Und welcher Teufel reitet den Kollegen Labrenz, hinter „veranstaltete“ und vor „Holger Rohde“ ein Komma zu setzen? Was soll der Beistrich vor dem „und“? Warum hinter dem Namen Barkmann noch ein Komma? Die neue Rechtschreibung vereinfacht die Zeichensetzung zweifelsohne. Aber sie tut dies, indem sie so manches Komma überflüssig macht – und nicht, indem sie zusätzliche Kommata verlangt.
Auch wenn man über den Marktplatz geht, kann man auf den Dativ verzichten. Das geht – probieren Sie’s aus! Darüber, ob der Name Laif existiert, bin ich wirklich nicht informiert. Möglicherweise gibt’s ihn tatsächlich. Sicher ist aber Eines: Ich stelle Lederbeutel im Akkusativ her, und da das Genus des Lederbeutels nicht sächlich, sondern maskulin ist, stelle ich eben doch einen her.
Und wenn ich musiziere, dann tue ich das ohne Objekt, just for fun, wie man neudeutsch sagen würde.
„Große Begeisterung waren die Gerichtsverhandlungen“. Das muss man erst mal sacken lassen. Was will uns der Autor hier sagen? Man ist sicher geneigt, der Intention des Schöpfers dieser Zeilen zu folgen – allein, will man das auch? Es ist die Reduktion auf das Wesentliche, die hier die Interpretation prägt. Allzu billig wäre das Ersetzen des „waren“ durch „weckten“. Also: Wo ist in diesem Satz das Subjekt? Ist es die „Begeisterung“? Das Wort steht im Singular und passt somit nicht zur Verbform im Plural. Demnach müssen es die „Gerichtsverhandlungen“ sein. „Die Gerichtsverhandlungen waren große Begeisterung“. Hmmm. Das ist jetzt nicht leicht.
„Sterbliche Überreste“
Eine Radiomeldung vom 28.05.07 besagte, dass die Leiche eines Kindes im Harz gefunden worden sei. Weiter hieß es, die sterblichen Überreste würden irgendwohin überführt. Hmmm. Polizeideutsch, und diesem entstammte ja wohl zumindest ein Teil der Radiomeldung, ist ja so ein Thema für sich mit all seinen verschrobenen Partizipialkonstruktionen und wunderlichen Begrifflichkeiten. Hier finden wir jedoch ein klassisches Beispiel für das auch sprachlich tief verwurzelte christliche Denken in Deutschland. Natürlich weiß ein Journalist, dass er nicht beständig das Wort „Leiche“ wiederholen sollte. Also bemüht er sich, es durch ein inhaltsgleiches zu ersetzen. „Leichnam“ wäre eine Alternative, klingt aber noch zu lautähnlich. „Toter Körper“ ist irgendwie zu wissenschaftlich, zu roh, klingt so nach Tierkörperverwertungsanstalt, ohne Mitgefühl. Für „die Tote/den Toten“ gilt Nämliches. „Verstorbene/r“ ginge sicherlich, wenn es sich hier nicht vermutlich um ein Gewaltverbrechen handelte. Und dann wäre das Kind eben nicht einfach nur verstorben, sondern gewaltsam ums Leben gekommen. Dennoch würde auch „Ermordete/r“ nicht passen, weil dies aus polizeilicher Sicht halt noch nicht erwiesen ist. Aaaaaber – da gibt es ja noch den edlen Sprachgebrauch, wenn ein Papst, König oder ähnlich hochrangige Persönlichkeiten zu Tode kommen. Dann werden schließlich die „sterblichen Überreste“ nicht etwa (siehe Polizeideutsch!) verbracht, gefahren, gebracht oder gar geliefert, sondern überführt. Sterbliche Überreste – ist das nicht in sich schon widersprüchlich? Zunächst mal legt das Wort „Überreste“ auf jeden Fall nahe, dass da vorher mehr gewesen sein muss. Lassen wir hier einmal die technische Tatsache außer Acht, dass ein länger unentdeckt liegender Körper schon durch Verwesung und möglicherweise auch durch Tierverbiss „weniger“ wird, dann müssen wir außerdem noch berücksichtigen, dass auch schon ein gerade eben verstorbener Papst trotz noch vollständigen Körpers nur mehr sterbliche Überreste ist. Was also fehlt denn nun bei den Resten? Klar ist, dass nach christlichem Glauben soeben die Seele den Körper verlassen hat und (hoffentlich!) gen Himmel gefahren ist. Das mag nun auch bei dem vermutlich doch wohl christlich getauften Kind der Fall sein.
Behalten wir aber einmal das Klischee vom Radiojournalisten als aufgeklärtem Großstadtmenschen (vermutlich aus steuerlichen Gründen aus der Kirche ausgetreten) im Auge, dann stellt sich doch wohl die Frage, wie er oder sie dann dazu kommt, diesen christlichen Edel-Sprachgebrauch in seine Meldung einzubauen? Reine Unwissenheit? Oder ist es nicht vielmehr auch hier wieder ein – wenn auch nur leicht – schlampiger Umgang mit dem Kulturgut deutsche Sprache?
Zurück zu den „sterblichen Überresten“ und ihrer Widersprüchlichkeit: Wir alle sind sterblich, wie alles Leben auf diesem Planeten. Uns gönnt unsere Biologie, wenn wir nicht von Gott sprechen wollen, bei natürlichem Verlauf etliche Jahrzehnte Leben, manchem auch ein Jahrhundert, das ist Fakt.
Was aber sind sterbliche Überreste? Wir sprechen hier von einem toten Menschen. Der ist nicht mehr sterblich, der ist bereits tot. Sterblich ist in meinen Augen jemand, der lebt, wie ja auch der Begriff „unsterblich“ nahe legt. Da kann jemand oder etwas nicht sterben, im Fall von „sterblich“ kann man also noch sterben. Da wäre es doch wohl nur konsequent, nicht etwa von „sterblichen“ sondern von „gestorbenen“ Überresten zu sprechen, wenn man dieses christliches Denken implizierende Wort denn nutzen will.
„Sterbliche Überreste“ – klänge da nicht „totes Kind“ oder meinethalben „das vermutliche Mordopfer“ etwas präziser?
Kriegsschauplatz Apostrophierung
Der Fall der Mauer führte folgerichtig zum Beitritt der sog. fünf neuen Länder, der fälschlicherweise ja auch gerne als „Wiedervereinigung“ bezeichnet wird. „Wiedervereinigung“ von was denn bitteschön? Deutschland in den Grenzen von 1937, wie es die Schulatlanten in meiner Jugendzeit gern postulierten? Wiedervereinigung des alten Preußens gar? Dann hätte ja in Konsequenz auch Schleswig-Holstein bis nach Hamburg-Altona hin wieder zu Dänemark gehen können oder müssen, je nach Auslegung und Datierung der preußischen Außengrenzen, versteht sich. Bei viel gutem Willen könnte man den Beitrittsvorgang allenfalls noch als Zusammenschluss zweier sich als deutsch bezeichnender Nationen verstehen.
Aber das soll hier gar nicht das Thema sein. Vielmehr hatten doch rund vier Jahrzehnte SED-Herrschaft in der DDR einen ganz eigenwilligen Sprachgebrauch hinterlassen. Das ist bekannt, und inzwischen weiß wohl auch jeder „Wessi“, dass mit „Broiler“ ein Hähnchen gemeint ist, oder mit „Jahresendflügelfigur“ der eigentliche Weihnachtsengel. Wobei Letzteres durchaus auch der bevölkerungs-, bzw. systemimmanenten Sprachironie der DDR-Bürger zu verdanken sein könnte.
Schlimmer für unseren Sprachgebrauch ist jedoch die Tatsache, dass eine ganze Generation in der DDR aufgewachsene und dort nach DDR-Lehrplan beschulte Deutsche bis zum Mauerfall praktisch kaum mit der englischen Sprache in Berührung gekommen sind. Insoweit noch kein Beinbruch, meinen Sie? Das sehe ich ganz anders! Ein Großteil der ehemaligen DDR-Bevölkerung vereinnahmt den Begriff „Sächsischer Genitiv“ allzu willig. Der ist nämlich keineswegs eine DDR-Erfindung, wie der Name vielleicht implizieren könnte, sondern wir haben ihn den aus Schleswig-Holstein nach England übergesiedelten Angelsachsen zu verdanken.
Folglich durfte ich ihn im gymnasialen Englischunterricht als „Saxon genitive“ kennen lernen. Und nur dort, also in der englischen Sprache, hat er wirklich eine Daseinsberechtigung. Im deutschen Sprachraum wurde er hingegen mit der Reform der deutschen Rechtschreibung von 1901 abgeschafft, und nur noch dort angewendet, wo er in Titeln oder Namen, wie etwa „Brehm’s Tierleben“ so etwas wie Markenschutz genoss.
Nachdem nun unsere nach Westen strömenden Ost-Mitbürger hier oft mit halbwegs korrekten, weil dem Englischen entlehnten, Apostrophierungen nach dem Muster „Mike’s Shopping Mall“ konfrontiert wurden, liefen sie in Scharen zum ihrer Meinung nach korrekten Sprachgebrauch mit Hilfe des Apostrophs (sic!) über. „Inge’s Schnellimbiss“, „Peter’s leckere Würstchen“ – brr, da schüttelt’s (sic!) mich nach wie vor!
Aber es kam noch schlimmer: Die DDR-Apostroph-Invasion wurde zur Inflation. Jetzt gab es kein Halten mehr – „Auto’s“ wurden verkauft, „Jung’s“ und Mädchen angeschrieben; ach, es war und ist ein Graus! Wenn ich drei Wünsche bei der vielzitierten guten Fee frei hätte, dann wäre deren einer des Inhalts (sic!), dass jeder überflüssige Apostroph aus der deutschen Sprache verschwände. Ein frommer Wunsch…