Wie vor 10 Tagen bereits angedroht: Harlan Ellison's..
Entwickler: Cyberdreams Publisher: Acclaim Genre: Adventure
--- Eine essayistische Rezension ---
(PC CD-ROM; ENG)
Der talentierte Mr. Ellison»I do not for a moment pretend to be a gaming person. (..) It is an utter and absolute stupid waste of time.« Diese Worte gab Harlan Ellison 1995 in einem Interview zu Protokoll, das im Zuge der Veröffentlichung von "I have no mouth and i must scream" (Im Folgenden: IHNM) geführt wurde. Dennoch ließ Ellison sich trotz seiner eigentlichen Abneigung gegen Videospiele von Cyberdreams dafür erwärmen, diesem Medium seinen Stempel aufzudrücken. Auf die Anfrage nach einer passenden Kurzgeschichte, die man versoften könne, zog Ellison aus seinem immensen Fundus diese 1967 erschienene Erzählung hervor. Eine ungewöhnliche Partnerschaft war geboren, ein ebenso ungewöhnliches Produkt war das Resultat. Insofern passt IHNM auch gut in die Vita von Cyberdreams, machte dieses Entwicklerstudio ja schon im Rahmen von
"Darkseed" durch seine Kooperation mit dem schweizer Surrealisten H.R. Giger von sich reden; Und auch wenn Harlan Ellison außerhalb der USA nie eine vergleichbare Reputation wie in seinem Heimatland innehatte, so ist der Einfluss des streitbaren Autors auf das SciFi-Genre nicht von der Hand zu weisen. Gerade die Kurzgeschichte IHNM könnte durchaus einen gewissen James Cameron zu seiner Roboter-Saga inspiriert haben. So wagen wir uns also erneut in die Sphären des psychologischen Adventures vor und sehen, was uns dort erwartet.
Eine Säule des Hasses»Hass. Lasst mich euch sagen, wie sehr ich euch hasse, seit mein Leben begann: Es gibt 387.44 Millionen Meilen an Schaltkreisen, die mein Gewölbe in hauchdünnen Schichten durchziehen. Wenn das Wort "Hass" eingraviert wäre auf jedem Nano-Angström dieser aberhundert Millionen von Meilen, wäre das kaum ein Milliardstel des Hasses, den ich für euch Menschen in dieser Mikro-Sekunde empfinde. Für euch: Hass! Hass!« (Freie Übersetzung)Mit diesen harrschen Worten wird der Spieler in die Welt von AM eingeführt, dem bösartig-wahnsinnigen Supercomputer; Und dieser AM lässt schon in seiner langen Eröffnungsrede in dem äußerst wirkungsvollen Intro keinerlei Zweifel an seiner Rolle als Antagonist aufkommen, geht doch nicht weniger als die Auslöschung der gesamten Menschheit auf seine Rechnung; Bis auf fünf Individuen, die AM seit 109 Jahren tief unter der Erdoberfläche in seinem unterirdischen Gewölbe gefangen hält und sie stets aufs Neue mit allen möglichen Grausamkeiten heimsucht - doch er lässt sie nicht sterben. Der Hass von AM auf die Menschheit ist so maßlos wie seine Verbitterung: Trotz seiner unermesslichen Intelligenz ist er an seine unbewegliche Form gebunden und kann seine Macht daher niemals ganz ausschöpfen - alle Macht der Welt, verkapselt in einer viel zu kleinen Schale. Seine Rache müssen die fünf Gefangenen ertragen, die sich diesmal einer ganz besonders perfiden Marter ausgesetzt sehen: AM entführt jeden von ihnen in ein maßgeschneidertes Albtraum-Szenario, in dem sie sich ihren ganz persönlichen Traumata stellen müssen. Hier setzt dann das Spiel ein, welches in Mini-Adventures gestaffelt ist, die jeweils einem der fünf Charaktere gewidmet sind:
- Gorrister, der lebensmüde Einzelgänger, der sich für den Wahnsinn seiner Frau verantwortlich macht
- Benny, der ehemalige Offizier, der von AM zu einem verkrüppelten Affenwesen mutiert wurde
- Ellen, die hysterische Computerfachfrau, die sich beim Anblick der Farbe gelb Panikattacken ausgesetzt sieht
- Nimdok, der KZ-Arzt, der Josef Mengele bei seinen grausamen Experimenten in Auschwitz assistierte
- Ted, der chronisch untreue Paranoiker, der sich mit seinem Aussehen einen Platz in höheren Gesellschaften erschlichen hat
Hier präsentiert sich eine Figurenkonstellation, die es im Genre nicht alle Tage zu sehen gibt. Den Helden ohne Ecken und Kanten sucht man hier vergebens: Alle Charaktere werden über ihre Schwächen definiert - die Stärken wiederum gilt es im Spielverlauf zu ergründen. Interaktionen der Charaktere untereinander gibt es jedoch keine, im Gegensatz zur Storyvorlage. Doch auch sonst gibt die Kurzgeschichte nur den groben Rahmen vor und wird nicht sonderlich werkgetreu umgesetzt - was angesichts ihrer Komplexität auch kaum zu bewerkstelligen wäre. Stattdessen wurde das Spiel in fünf Kapitel (sechs, wenn man das Finale einrechnet) eingeteilt, was insofern durchaus sinnvoll und der Spielbarkeit zuträglich ist.
Gesteuert wird mit einem recht handelsüblichen Interface aus anklickbaren Verben. Jede Spielfigur hat darüberhinaus ein eigenes Portrait am linken unteren Bildrand, welches mit einem Farbton von schwarz über grün bis hin zu weiß hinterlegt wird; Dies ist das sogenannte "Karma-Meter" und gibt durch Helligkeit eine Art Punktestand an, der sich je nach gelösten Rätseln und getroffenen Entscheidungen im Spiel erhöht oder senkt.
Wer von euch Fünf will mein kleines Spiel spielen?Die Prämisse, der IHNM folgt, ist ebenso simpel wie bemerkenswert: Jeder der fünf Charaktere hat einen besonders schweren charakterlichen Makel zu eigen, den es zu überwinden gilt: Gorrister muss seine Schuldgefühle besiegen, Ellen ihre Hysterie, Benny seine Unbarmherzigkeit, Nimdok seine Realitätsverweigerung und Ted seine notorische Untreue. Die Szenarien, die dabei durchlaufen werden, drücken in vielschichtiger Weise die Persönlichkeiten der Spielfiguren aus: So scheint der Zeppelin, in dem Gorrister erwacht, innerlich zu verrotten - wie auch er selbst innerlich zerfällt. Ellens Neigung, ihren Schmerz zu verkapseln, wird durch die Pyramide ausgedrückt. Christliche Symbolik gibt es in der Benny-Episode zu bestaunen, u.A. wenn der gigereske Baum im Eingeborenendorf mit verbotenen Früchten lockt, die Benny nach Verzehr jedoch sofort zum Blutspucken bringen. Die fast schon surreale Bösartigkeit von Nimdoks verbrecherischen Experimenten wird durch die grotesk verzerrten Bauten im Stil des expressionistischen Films unterstrichen. Teds Paranoia schließlich offenbart sich in den allgegenwärtigen Tierköpfen mit leuchtenden Augen, die die Wände der Burg schmücken. Die sehr charakterbezogene symbolische Ausgestaltung der Szenerien verleiht IHNM ein Alleinstellungsmerkmal und läd neben dem Spielen zum munteren Deuten und Interpretieren ein.
Die Themen, die im Spielverlauf angeschnitten werden, reichen von fordernd bis provokativ: Von gefürchteten Zivilisationskrankheiten wie Depression und Selbstmord über sexuelle Gewalt und Kannibalismus werden auch direkte Referenzen an den Holocaust behandelt. Dabei verzichtet das Spiel zwar weitgehend auf eine krasse Darstellung von Details, nichtsdestotrotz verlangt es vom Spieler einen entsprechend abgeklärten Umgang mit solcherlei Themen. Zudem umgibt das Spiel durch die Thematik in Verbindung mit den surrealen Hintergründen und John Ottmans hervorragender Musik eine ziemlich drückende Athmosphäre, die das Stimmungsbarometer deutlich absacken lassen kann.
Ich möchte spielen - oder doch nicht?Im selben Interview, aus dem in der Einleitung zitiert wurde, gab Harlan Ellison an, er wolle ein Spiel mitentwickeln, das Ethik vermittle. Das Vorhaben ist nobel, gelingt in der Praxis jedoch nur zum Teil, da es für moralisch verfehlte Handlungen keinen echten Anreiz gibt: Nur "gute" Entscheidungen führen zur optimalen Punktzahl, "böse" Entscheidungen führen wiederum entweder zu Punktabzug oder gar zur vorzeitigen Beendigung des Szenarios - und somit letztlich in eine Sackgasse. Zudem ist die Puzzlestruktur oft verworren, Lösungswege nur selten logisch deduzierbar: Eine zuvor erfolglose Aktion zu einem späteren Zeitpunkt zu wiederholen kann zum plötzlichen Erfolg führen, ohne dass man wirklich weiß warum. Hinweise sind in der Regel sehr vage und rar gestreut, daher ist die Lösung oft nur durch Ausprobieren zu erreichen. Dazu gesellen sich manchmal technische Probleme wie begriffsstutzige Befehlseingabe oder manchmal sogar festhängende Spielfiguren. Mehr technischer Feinschliff und eine stringentere Puzzle-Struktur hätten dem Titel sicherlich gutgetan.
Was IHNM jedoch so wertvoll macht - auch nach 15 Jahren seines Erscheinens - ist die thematische Einzigartigkeit des Spielprinzips und die Konsequenz, mit der es durchgesetzt wird: Fünf fein ausgearbeitete Charaktere stellen sich ihren inneren Dämonen und versuchen so zu besseren Individuen heranzureifen - damit emanzipiert sich IHNM nicht nur von den üblichen Konventionen des Genres, sondern kann gewissermaßen als richtungsweisend für das Nischenprodukt des psychologischen Adventures gelten. Bedauerlich, dass diese Richtung in der Zeit danach nur selten eingeschlagen worden ist, jedoch gewissenmaßen verständlich, da das Resultat nur einen recht kleinen Kundenkreis ansprechen dürfte. Auch IHNM ist daher eher ein Titel für Liebhaber, die mit den beschriebenen Mätzchen leben können. Für solche ist auch die Bewertung zu verstehen - IHNM ist und bleibt ein Unikat, mehr im guten wie im schlechten Sinne.
(7/10 Punkte)
Zensur-InfoWohlbekannt ist die Tatsache, dass der KZ-Arzt Nimdok mit seinem Kapitel ersatzlos aus der deutschen Version entfernt wurde. Und das ist wenig verwunderlich: Da die Episode im Vernichtungslager Auschwitz spielt, mit Holocaust-Andeutungen hantiert und auch Dr. Josef Mengele sein Stelldichein gibt, hätte Acclaim bei Veröffentlichung des Kapitels im deutschen Raum böse Post vom Staatsanwalt bekommen können. Weniger bekannt ist jedoch, dass IHNM bereits vor Veröffentlichung einer Vorzensur unterzogen wurde. Von den Inhalten, die weichen mussten, gibt es einen kurzen Videoclip, der unter folgendem Link angesehen werden kann:
http://www.game-nostalgia.com/mouth/goodies/mouth_deleted_scenes.html