Den Namen der Hauptfigur habe ich aus Spoilerschutzgründen beige gefärbt - ist in meinen Augen aber absolut undramatisch, wenn man den Namen vorher weiß, da er ohnehin früh enthüllt wird. Wie dem auch sei: Ihr seid hoffentlich reif für die Klapse, denn es geht ins...
Entwickler: Dreamforge Publisher: ASC Games Genre: Adventure
--- Eine essayistische Rezension ---
(GoG-Download, ENG)
Gegen den StromNach einigen sehr fruchtbaren Jahren herrschte anno 1998 Krisenzeit im Adventure-Genre: Der Kritiker-Liebling
"Grim Fandango" wurde zum Verkaufsflop und so zum Sinnbild für die damals eintretende Abkehr des Massengeschmacks von dieser Spielegattung. Dennoch bliesen die Rollenspiel-Experten von Dreamforge (
"Anvil of Dawn") nochmals zum Großangriff, um die Herzen der Spielerschaft mit
"Sanitarium" für sich zu gewinnen. Der Angriff schlug aus kommerzieller Sicht fehl, trotz ordentlicher Kritiken zum Verkaufsstart. Nichtsdestotrotz hat sich über die Jahre eine treue Fangemeinde um dieses Grusel-Adventure geschart, was für uns der Anlass sein soll, bereits zum dritten Mal den Weg des psychologischen Adventures zu beschreiten.
Fragen über Fragen»I've found the answer!! All those years .. i should've seen it!«Wie diese Antwort nun lautet, wird zunächst verschwiegen; Denn der Euphorieschub der eingangs noch namenlosen Hauptfigur wird jäh unterbrochen als die Bremsen versagen und das Auto sich über eine steile Klippe manövriert. Doch was wie das frühe Ende erscheint, ist erst der Anfang des Spiels: Es folgt eine Szenerie im dunklen Turm einer Nervenheilanstalt, angefüllt mit zwielichtigen Gestalten, die durchgehend wirres Gerede von sich geben. Schwerverletzt und an Amnesie leidend muss
Max Laughton - so der früh enthüllte Name - sich in seiner Umgebung zurechtfinden und die Bruchstücke seiner Identität zusammentragen.
Sanitarium präsentiert sich im Kostüm einer Kabinettsperspektive, wobei sich die Spielfigur vor einem vorgerenderten Hintergrund bewegt - in etwa zu vergleichen mit Biowares "Infinity-Engine". Was u.A. leider als erstes auffällt, ist die ziemlich ungenaue, wenig elegant gelöste Benutzerführung, bei der die Spielfigur mit gehaltener rechter Maustaste anhand von eingeblendeten Richtungspfeilen bewegt werden muss. Dies sorgt für ziemlich unhübsche Bewegungsabläufe und unnötige Hakeleien, die insbesondere bei den geschicklichkeitsbetonten Passagen für Frustmomente sorgen.
Ist diese Hürde erst einmal genommen, erwartet den Spieler dann aber ein Potpourri an stimmungsvollen Mini-Adventures, die ein raffiniertes Spiel mit der Erwartungshaltung des Spielers treiben, da die Trennlinie zwischen Wirklichkeit und Wahnvorstellung gerne mal verwischt wird. Die Episoden sind dabei recht lose miteinander verknüpft, zwischendurch streut das Spiel immer wieder schön gestaltete Flashbacks ein, die ein Bruchstück von
Max' Leben und Wirken offenbaren. Nicht immer wird dabei sofort klar, wo der Bezug zum übergeordneten Spielziel liegt, weshalb beim ersten Durchspielen von "Sanitarium" oft Verwirrung vorherrschen wird.
Das andere IchDoch nicht nur durch die Flashbacks wird die Identitätssuche zur komplizierten Angelegenheit; Teile von
Max' Erinnerungen werden auch in Form von alter Egos wiedergegeben, denen jeweils eine oder mehrere Episoden gewidmet sind. Der Spieler kann dabei folgende Rollen einnehmen:
- Max Laughton: Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. Max erwacht ohne Erinnerungsvermögen in einer Irrenanstalt und scheint der Patient eines gewissen Dr. Morgan zu sein. Sein Ziel ist es herauszufinden, wer er ist und was sich hinter all den Tagträumen verbirgt, die ihn immerzu heimsuchen. Die meisten Episoden sind ihm gewidmet.
- Sarah: Die Schwester der Hauptfigur. Sarah ist ein achtjähriges, munteres und freundliches Mädchen mit ausgeprägtem Spieltrieb. Ihr Abenteuer findet vor der Kulisse eines verwunschenen Zirkus auf einem überfluteten Eiland statt.
- Grimwall: Grimwall ist der Protagonist einer surrealen Comic-Reihe, die die Hauptfigur als kleiner Junge las. Er ist ein knurriger, vierarmiger Zyklop, der in tiefer Feindschaft zu einer insektoiden Lebensform steht. Neben der Bekämpfung ihrer Kolonie muss er einen Verräter ausschalten.
- Olmec: Ein unfreundlicher, aztekischer Gotteskrieger. Er wurde herbeigerufen, um den bösartigen Gott Quetzalcoatl unschädlich machen, der ein Dorf mit seinen Bewohnern tyrannisiert.
Diese Figurenkonstellation als "ungewöhnlich" zu beschreiben, wäre eine deutliche Untertreibung - und das ist für das Spiel zugleich Segen und Fluch: Einerseits wird so die Möglichkeit geschaffen, in die Rollen von unverbrauchten Spielfiguren zu schlüpfen, andererseits ist die Identifikation mit ihnen oft nicht einfach. Der Bezug zur Rahmenhandlung ist ebenfalls schwer herzustellen, der oft geäußerte Kritikpunkt, dass manche Episoden rein gar nichts mit der Handlung zu tun hätten, stimmt so allerdings nicht: Vielmehr ist der Spielinhalt - ähnlich wie bei
"DreamWeb" - als Zerrbild der Realitätswahrnehmung der Hauptfigur zu sehen, in der Erinnerung und verborgene Wünsche unkontrolliert zusammenfließen und sich in bizzarren Traumwelten offenbaren.
Diese beziehen sich zum Großteil auf die Hauptfigur, doch auch der Wandel des Antagonisten Dr. Morgan vom ambitionierten Forscher zum Mengele wird in einigen Details angedeutet; So zum Beispiel durch die Gräuel des Verräters Gromna (Anagramm für "Morgan") im Grimwall-Kapitel und den zunächst verehrten, dann verhassten Gott Quetzalcoatl (der Morgans Gesicht trägt) in der Olmec-Episode. Tatsächlich sind die Szenerien angefüllt mit Motiven und Allegorien, die bei näherem Hinsehen durchaus schlüssig werden: Wiederholt auftretende Motive sind beispielsweise eine auftretende, tödliche Krankheit, die Erlösung in Gestalt von Engeln und der Verlust der Kindheit.
Der rote FadenDie Mini-Adventures sind visuell und akustisch teils sehr stimmungsvoll inszeniert, jedoch steht diese episodische Einteilung vor dem Problem, ein homogenes Gesamtbild zu erzeugen. Bei der Vielzahl an verschachtelten Handlungssträngen erweist sich dies für "Sanitarium" als regelrechte Herkules-Aufgabe, die nicht wirklich befriedigend gelöst wird - dazu unterscheiden sich die Kapitel stilistisch zu stark voneinander. Insbesondere die schwächelnde Episode im Azteken-Setting hängt doch arg in der Luft und reißt ein Loch in den Spannungsaufbau. Eine durchgehende Konstante, wie man sie beispielsweise in Form des Supercomputers AM in
"I have no mouth, and i must scream" sieht, hätte dem Ganzen etwas mehr Stringenz verleihen können; So herrscht allerdings ein etwas fragmentarischer Charakter vor.
Doch Glanzlichter gibt es immer wieder: Insbesondere das Kapitel im Dorf der verlassenen Kinder, das merklich an
"Kinder des Zorns" angelehnt ist, sticht positiv hervor und bietet subtile Gruselstimmung vom Feinsten. Daneben gibt es noch einen sehr feinfühlig in Szene gesetzten Spielabschnitt, in dem die kleine Sarah ihr Elternhaus erforscht und dabei wortwörtlich auf die Schatten der Vergangenheit stößt. Gleiches gilt für die Filmschnipsel, deren Güte von leicht trashig bis hin zu Spielfilmniveau reicht.
See you in hell, freak!Sanitarium lässt ein regelrechtes Trommelfeuer an Ideen auf den Spieler niedergehen, schafft es dabei jedoch nicht ganz, das Maximale aus seiner beachtlichen kreativen Leistung herauszuholen und so zum Top-Titel zu avancieren. Dies liegt nicht zwangsläufig an der episodischen Handlungsstruktur oder dem komplexen Verwirrspiel, das ein zweites Durchspielen quasi erforderlich macht. Vielmehr ist der dramatische Aufbau der Kapitel ziemlich unglücklich gewählt: Die spannendsten und wirkungsvollsten Kapitel werden schon zu Beginn verbraucht, die späteren können das Spannungsniveau dann jedoch nicht mehr halten. Auch die Endauflösung befriedigt nicht wirklich, wertet sogar das zuvor Gezeigte eher ab.
Das Puzzledesign erntete oft kritik ob seiner Simplizität; Und in der Tat ist Sanitarium nicht gerade ein puzzletechnisches Komplexitäts-Schwergewicht: Die Lösungen sind meist offensichtlich, Stockungen im Spielfluss entstehen hauptsächlich durch übersehene Gegenstände. Auch dies ist Segen und Fluch zugleich: Wer für Adventures nur wenig Geduld mitbringt, erhält auch hier eine echte Chance, das Spiel ohne den Griff zur Komplettlösung zu lösen. Geübte Abenteurer dürften sich allerdings eher unterfordert fühlen.
Trotz der Kritik bleibt Sanitarium ein beachtliches, fast schon expressionistisches Werk, bei dem sich das Puzzle nicht nur im Lösen von Problemsituationen im Spiel erschöpft, sondern sich auch auf das Enträtseln der Handlung erstreckt. Die verschachtelte Erzählstruktur wird zweifelsohne von Vielen als sperrig empfunden werden, und der dramaturgische Aufbau erscheint etwas unausgegoren. Wer sich jedoch für subtilen Grusel und komplexe Verwirrspiele á la David Lynch erwärmen kann, der sollte sich von der Puzzleschwäche nicht abschrecken lassen und einen Gang ins Sanatorium wagen.
(7/10 Punkte)