The Lost Files of Sherlock Holmes punktet in erster Linie durch seine tolle, viktorianische Atmosphäre. Die VGA-Grafiken wurden mit viel Liebe zum Detail entworfen und versprühen in ihrer Einzigartigkeit einen ganz besonderen Charme.
Dieser Charme bewegte mich nach den Weihnachtsfeiertagen dazu, mir den Trenchcoat überzuziehen und mit gezückter Lupe auf Spurensuche zu gehen. Doch wie sollte die virtuelle, forensische Erkundung im verregneten London vonstatten gehen? In der Tat musste ich zuerst alle 9 Disketten via DosBox installieren, damit ScummVM das Spiel als solches überhaupt erkannte. Im Anschluss bedurfte es ein wenig Nachjustierung, damit das Adventure mit schönsten Midi-Musiken mir das Rätseln versüßen konnte.
Mit unserem allseits zur Seite stehenden Watson ging es für mich (erneut) in das Abenteuer mit dem "gezackten Skalpell". Schon damals zu guten alten 386er Zeiten war mir ein Durchspielgenuss auf Grund einer ausgeliehenen Originalversion eines Freundes ermöglicht worden.
Gleich zum Start ins Abenteuer war ich ein wenig geschockt: Die Musi' spielte zwar schön vor sich hin, die Sprachausgabe im Intro sorgte auch für eine gewisse Detektivatmosphäre, doch Sound-FX waren nur spärlich zu vernehmen. Als Privatschnüffler gewöhnt man sich aber recht schnell an die kaum vorhandene FX-Untermalung. Da wir gerade bei der Akustik sind: Die einzelnen Melodien werden bei Aufsuchen eines Ortes meist nur einmal abgespielt. Danach herrscht größtenteils Stille. Sprachausgabe gibts nur im Intro, einer Zwischensequenz und ganz am Ende des Spiels.
Nachdem die Einleitung beäugt und die ersten Spielminuten absolviert wurden, durfte ich zum Lexikon greifen. Aus dem Stand war mir nicht geläufig, was es mit
Kampfer auf sich hat? Erklärung: Hierbei handelt es sich um ein Arzneimittel. Es bestätigt sich erneut: Computerspiele bilden!
So herrlich das holm'sche Ambiente in den Bann zieht, so unschön wurde mir ein Fakt - und dies bereits zur Spielmitte - bewusst: Das Gros der Rätsel beschränkt sich darauf, Gespräche zu führen und dadurch neue Informationen zu bekommen. Sherlock-Fans werden jetzt aufschreien und mir vorhalten, dass das doch das Hauptengagement unseres Meisters aus England darstellt. Stimmt! Doch erwarte ich in einem Abenteuerspiel mehrere (bestenfalls verstrickte) Rätsel, die einem dann und wann Kopfzerbrechen bereiten. Diesbezüglich wurde definitiv Potenzial verschenkt, da die meisten Rätselnüsschen mit den simplen Aktionen "Benutze Gegenstand A an Ort B" geknackt werden.
"Dr. Watson! Notieren Sie einen Punkt Abzug für das Rätseldesign."Hoppla! Bei den Ermittlungen gab es doch tatsächlich immer wieder leichte Verzögerungen, wenn ich meinen Nager (die Maus!) mit Klickarbeit versorgte. Ob das nun an ScummVM lag oder auch in der nichtemulationstechnischen Version auftritt?
De facto gibt es Fehler im Spiel. Sowohl habe ich diese via ScummVM erlebt als auch andere Spieler, die sich durch das Abenteuer rätselten:
1. Chemielabor:
Wenn man hier die Aktion
Benutze Brenner (
wenn er bereits an ist) ausführt, wird man mit einem
Crash to Desktop "belohnt".
2. Moongate Pub:
Auch hier ist die Gefahr vorhanden aus dem Spiel geschmissen zu werden. Sobald man dem Wirt die Phrase
"Abermals guten Abend..." an den Kopf wirft, schmeißt der Gastronom unser Detektivduo postwendend auf die Straße bzw. besser gesagt aus dem Spiel. Ähnliches hat dieser
Spieler in einem Forum (Eintrag #14) berichtet.
3. St. Bernard's Public House (Billard Haus):
An diesem Ort habe ich anscheinend so "komisch", respektive in unvorhergesehener Reihenfolge mit den Leuten geredet, dass es par tout nicht mehr möglich war, die Adresse von Caruso herauszubekommen. Ebenso wurde hier anderen
Schnüffelnasen das Fortkommen unmöglich gemacht.
4. Gardner + Moorehead:
Das zweite
Dead End wurde mir hier kredenzt. Was ich auch mit der
Sekretärin besprach, es war im Endeffekt nicht mehr möglich
Übrigens: Wie sieht denn die Dame hier aus? Die würde ja zombilike eher zu Resident Evil passen.
Komisch! Auf meinem damaligen PC waren diese Mankos nicht feststellbar.
Da ich gerade bei Feststellungen bin:
Wo unser Meisterdetektiv über Scotland Yard motzt, muss ich noch die folgenden Rügen verteilen:
* Einige Musiken mögen ganz nett sein. Manchmal ertönen aber Klänge, die einen tierisch auf die Nerven gehen. Schade, dass durch solch musikalische (Fehl-)Einsätze die Atmosphäre drunter leiden muss.
* Man muss schon genau drauf achten: Zwar selten aber vorhanden, wird zum Portraitrecycling gegriffen.
* Schnelle deutsche Konvertierung? Bei fast allen Aktionen werden im Begriffsfeld englische Befehle eingeblendet.
"Dr. Watson. Auch für diese angeführten Mankos vermerken Sie bitte einen Minuszähler!"Somit bestätigen sich (auch wenn denkbar knapp) meine einst vergebenen
8 Punkte aus dem Jahre 2009.
Wie mehrfach erwähnt bieten die
Lost Files of Sherlock Holmes dem Spieler ein ganz eigenes Flair. Die Thematik wurde sehr schön verpackt und spiegelt die Geschichten des Erschaffers Sir Conan Doyle adäquat wider. Allein das Auftauchen neuer Orte auf der Londoner Karte motiviert ungemein und weckt den Entdeckergeist eines jeden Abenteurers. Auch wenn wir es hier mit einer Mordgeschichte zu tun haben, kommt das Schmunzeln nicht zu kurz. Seien es die kessen Gespräche zwischen Holmes und Watson, die schnippischen Bemerkungen von Holmes in Richtung Scotland Yard oder auch kleinere eingebaute Gags wie z. B. dieser
rotierende Junge (links neben dem Jungen in Blau), der sich permanent im Kreis dreht und danach voller Taumel umfällt.
Humor, Entdeckergeist und eine interessante Story. All das erwartet den Adventure-Freund, wenn er zusammen mit Dr. Watson zu seinen Ermittlungen schreitet.
Empfehlung meinerseits:
In der
Adventurecorner gibt es ein wunderbar verfasstes Resümee über das Spiel. Tobias Maack hat ebenso wie ich 8 Punkte für den Meisterdetektiv vergeben.
Kommentar wurde am 25.01.2021, 16:28 von jan.hondafn2 editiert.