Das Argument von Deathrider habe ich auch nicht kapiert. Man soll also einen Film nur dann im Kino sehen, wenn er brandaktuell angelaufen ist? Und warum? Weil dann noch mehr kreischende, mit Popcorn werfende, die Texte vorsagende und mit Gummisüßigkeitentüten knisternde Arschgeigen um einen herum sitzen? Und was soll daran erstrebenswert sein?
Und nur weil er in ein paar Wochen schon auf DVD zu sehen sein wird, ist der Kinobesuch sein Geld nicht mehr wert? Ist doch Quatsch mit Soße, ehrlich. Ich zahle ja das Kinoeintrittsgeld nicht dafür, dass ich 'nen Film als erster, sondern dafür, dass ich ihn auf Großleinwand mit dröhenendem Surroundsound sehe. Wäre ersteres der Fall, könnte ich mir auch aus dem Netz eine abgefilmte Version (neudeutsch: Screener) saugen (so, wie's Kollege cassidy ganz offensichtlich getan hat).
Ansonsten kann ich cassidy zumindest ein Stück weit nachvollziehen, denn ein in irgendeiner Hinsicht sensationelles oder außergewöhnliches Filmereignis war ROCKY BALBOA tatsächlich nicht, schon deshalb, weil er in der Tat in erster Linie ein Aufguss des ersten Teils ist. Da kamen keine echten neuen Aspekte zur Figur des Rocky hinzu. Immer noch geht es um einen Verlierer, der eine einmalige Chance erhält und mit viel Herz dem haushohen Favoriten Paroli bietet und alle Zweifler Lügen straft.
Aber genau das hat mir daran so gefallen: Es war ein Film der alten Machart, er könnte genauso aus den 80ern stammen. Die vermeintlichen "Pseudokonflikte" empfand ich lange nicht als so störend, wie cassidy. Gut, der Sohn, der sich von der Figur des Vaters überschattet fühlt, sich dann aber von dessen Enthusiasmus mitreissen lässt und binnen weniger Wochen sein größter Fan wird, das war mal wieder etwas dick aufgetragen, aber ansonsten fand ich die Figuren allesamt schon recht authentisch und vor allem - und das ist mir viel wichtiger - sympathisch. Davon mal ganz abgesehen, habe ich schon durchaus hanebüchenere Herleitungen für cineastische Finals und schlimmere Möchtegernsozialstudien gesehen.
Und ich fand überhaupt nicht, dass man Tarver (alias Mason Dixon) zu sehr auf Hip Hop-Stil getrimmt hat. Ganz im Gegenteil. ich hätte viel mehr hüpfende Autos, dickbusige Nutten, Goldketten, Kokslinien und dumpfes Hip Hop-Gedröhne erwartet. Schaut Euch doch mal die neuen Filme an, AN JEDEM VERDAMMTEN SONNTAG beispielsweise. Da wird diese Gangsta-Rap-Attitüde absolut kultiviert. In ROCKY BALBOA kam das lange nicht so aufdringlich herüber.
Dass Stallone sich mit der Figur des Paulie auf diese Weise versöhnen wollte, fand ich sogar sehr schön. Er wollte ihn nicht als ein versoffenes Oberarschloch abtreten lassen, sondern als eine gescheiterte Existenz, die, nach dem Tod ihrer Schwester, zumindest ein wenig Reue zeigt und sogar das ein oder andere mal derjenige ist, der Rocky mit einer Lebensweisheit zu sich selbst zurückführt, anstatt immer nur destruktiv zu sein, wie in den alten Filmen. Zwei alte Männer, die sich zusammengerauft haben, weil sie sonst beide niemanden mehr haben.
Man merkte diesem Film einfach an, wieviel Stallone an der ROCKY-Reihe und jeder einzelnen Figur in ihr liegt und dass er einen würdigen und versöhnlichen Abschluss gesucht hat. Und genau das war der Grund, warum mir der Film gefallen hat: Nicht, weil er handwerklich überdurchschnittlich gut oder die Geschichte von erwähnenswerter Genialität wäre, denn das ist nun wirklich nicht der Fall, da gebe ich cassidy Recht, sondern vielmehr weil er mit viel Herz gemacht ist. Stallone als Regisseur reisst mit seiner sympathischen, manchmal auch naiven Art genauso mit, wie die Figur des Rocky im Film.
Das macht den Film aus. Für mich jedenfalls.
Aber ich kann mir gut vorstellen, dass diese Wirkung nur Eintritt, wenn man schon immer ein ROCKY-Fan mit Herz und Seele war, wie Dave und ich eben. Jemand wie Herr Planetfall, der nicht mit den alten Filmen aufgewachsen ist, könnte schon arg enttäuscht werden.