Zivilcourage "lohnt" sich nicht. Vor allem dann nicht, wenn Alkohol im Spiel ist.
Kürzlich spazierte ich in mein Stammlokal und wurde dort von einem Macker mit einem herzlichen "Servus, du alte Brillenschlange!" begrüßt. Natürlich hat mich das geärgert, aber ich grüßte ganz normal zurück.
Er merkte sofort, dass er mich nicht wirklich provozieren konnte, also "probierte" er jeden Gast einzeln aus - bis er auf einen Schwulen traf. Er erklärte diesem: "Kannst eh nix dafür, dass du auf Männer stehst, nicht wahr?"
Dann gab er ihm unvermittelt eine Ohrfeige.
Die Gäste, mich eingeschlossen, gafften ziemlich fassungslos drein.
Als sich dieser Halbstarke - es war tatsächlich nur ein Einzelner! - auf's Klo verzog, wollte ich mit den Gästen einen (feigen) Plan schmieden und schlug vor: "Leute, wenn er aus dem Scheißhaus zurück kommt, dann pack' ich ihn und ihr könnt mit ihm machen was ihr wollt!"
Sie gingen nicht darauf rein, also verließ ich angewidert (von allen!) das Lokal.
Zwei Tage später erfuhr ich, dass dieser Kotzbrocken bald darauf zusammen geschlagen worden war, kurz nachdem ich mein Stammlokal verlassen hatte. Seine Piercings wurden ihm angeblich sorgfältig aus der Nase und aus den Ohren gerissen. Mein Gott, das hätte ich so gern gesehn!*lechz*
Aber eigentlich wollte ich mich über das Thema Zivilcourage äußern.
Verwechselt Zivilcourage nicht mit Selbstjustiz! Naja, eure Antworten haben mich halt irgendwie nachdenklich gemacht...
Ich kann mich an mein erstes Pflichtschuljahr erinnern, da war ich sechs. Da gab es in meiner Klasse ein Mädchen, das immer wieder blaue Flecken trug. Ich meine nicht an ihrer (schäbigen) Kleidung, sondern am ganzen Körper - sogar im Gesicht. Die Flecken waren nicht direkt blau, sondern eher grün und bisweilen violett.
Dieses Mädchen war extrem scheu, als wäre sie sich ihrer "Krankheit" bewusst gewesen. Unsere sehr geehrte Frau Lehrerin machte uns Schülern nämlich weis, dass diese Flecken von einer Krankheit stammen. Weitere Fragen von uns Kindern überhörte sie geflissentlich.
Als unbedarfter Sechsjähriger hätte ich mir nie vorstellen können, dass Eltern ihre eigenen Kinder schlagen würden.
Tja, unsere Lehrerin wusste, dass meine Kollegin von ihrem alkoholsüchtigen Vater Prügel bezog.
Hätte sie eingreifen sollen? Ich sage: Ja!
Hätte es was genützt? Ich sage: Nie und nimmer!
Ihr Vater war der Alleinernährer, und eine Freiheitsstrafe an ihm hätte der ganzen Familie nur noch mehr geschadet.
Das Mädchen - ich kann mich nur mehr an ihren Vornamen erinnern - blieb natürlich in der ersten Klasse sitzen.
Drei Jahre später traf ich sie wieder:
Da gab es eine Theatervorführung, an der alle Grundschulklassen ZUSAMMEN teilnahmen. Durch Zufall saß sie während der Vorstellung direkt links neben mir, und und mein damaliger bester Freund saß zu meiner Rechten.
Das Stück war von Johann Nepomuk Nestroy: Der Talisman.
Perfekt - wie für Kinder geschaffen (weil's die Alten eh nicht verstehen, sag' ich heute...)!
Nein, es war eben nichts für Kinder, aber die Frau Direktor hat halt gemeint, dass dieses Stück sehr lehrreich sei.
Kein 10jähriger wird sich für Nestroy begeistern können, aber ich beugte mich quasi wie ein großer Bruder nach links zum Mädchen und fragte ungefähr: "Findest du das witzig? Also ich nicht."
Und da hat sie gelacht - das erste Mal überhaupt!
Mein Kumpel hat mir leise zugeraunt, ob ich noch ganz bei Trost wäre - mich mit einem "unterklassigen" Mädchen zu unterhalten! Er war halt ein Macho, aber er blieb mein Kumpel.
Hier geht's um Zivilcourage, nicht wahr?
Für mich heißt Zivicourage: Nicht auf ein Ar$chloch dreinschlagen, selbst wenn er's noch so verdient!
Es bringt nix. Mir war mal ein (vermeintliches) Opfer böse, weil ich ihm unaufgefordert geholfen hatte. Da hab ich ganz schön blöd geguckt!
Ja, das war voll für die Katz'!
Wurscht, Schnee von gestern.
Was mich aber in Rage versetzen können sind Melungen wie:
"Toter Mann saß ein halbes Jahr vor dem laufendem Fernseher. Die Post stapelte sich meterhoch. Nachbarn beschwerten sich über den penetranten Verwesungsgeruch."
Oder:
"Frau tötet ihre fünf Kinder jedesmal sofort nach heimlicher Geburt. Freund schöpfte nie Verdacht."
Oder:
"Stiefvater misshandelt Kleinkind bis der Tod eintritt. Mutter hatte absolut null Ahnung" und ähnliche Sachen.
Vor etwa drei Jahren ließ ganz bei uns in der Nähe eine drogensüchtige (Strafmilderungsgrund!) Mutter ihr Kind verhungern. Verhungern! Bei "uns!"
Aber da das Kind "Kevin" hieß, ist's nicht ganz so tragisch, weil es in meiner Nachbarschaft eh noch drei davon gibt - oh Mann...