@ cassidy
Wenn mit "Du" ich gemeint bin (
), dann verkennst Du mich etwas. Themenfremd? Nicht unbedingt, denn ich habe, bis ich zwölf, dreizehn war, selbst aktiv Fußball im Verein gespielt, bin vor allem noch zu Zweitligazeiten zu fast jedem Heimspiel des SC (Freiburg) gegangen und habe später dort dann einige Jahre im Stadion ehrenamtlich als Ordner gearbeitet.
Und mit Sicherheit finde ich weder diese metrosexuellen, männlichen Modepüppchen à la Beckham oder C. Ronaldo gut, noch halte ich die Millionengehälter der Stars für angemessen oder würde auch nur eine einzige Spielerfrau auf einem Foto erkennen!!
Mich juckt einfach die Sportart selbst nicht mehr so sehr, dass sie es mir wert ist, dafür sonderlich viel meiner Freizeit zu opfern. Andere Sportarten sind mir wichtiger geworden, sowohl was die Ausübung als auch das Zuschauen angeht. Natürlich freue ich mich immer noch über ein spannendes Fußballspiel, aber mein Tag hat halt nur 24 Stunden und wenn ich nebenbei noch meinen Hobbies nachgehen will, andere Sportveranstaltungen lieber sehe, von der Zeit, die ich auf Arbeit, mit meiner Familie oder guten Freunden verbingen muss bzw. möchte ganz zu schweigen, dann entscheide ich mich halt ganz oft gegen den Fußball.
Ist das mit den kantigen Typen, dem echten Feeling und all diesem Zeugs, was Du so vermisst, nicht vielleicht in erster Linie der Retro-Effekt? Dass die 80er- und 90er-Jahre-Prolls einem halt näher waren als die toppfrisierten, aufgenbrauengezupften und glattrasierten Bübchen von heute, weil man zu der Zeit halt genauso unterwegs war wie die Generation Brehme & Co. und einem die Jungs von heute einfach grundsätzlich schon fremd erscheinen?
Und repräsentiert nicht eine Nationalmannschaft mit einem Özil, einem Boateng, einem Podolski oder einem Khedira den bundesdeutschen Gesellschaftsdurchschnitt mehr denn je?
Dass die Fanbasis verasozialisiert wird, da gebe ich Dir recht. Aber meiner Meinung nach sind viele einfach auch asozial. Mehr noch, man könnte Dir genauso gut entgegnen, warum diese Schalke-Bierbecher-Schnauzbart-Gröl-Romantik jahrzehntelang so verklärt wurde?
Ich komm nicht aus'm Pott, wo der Fußball nochmal einen ganz anderen Stellenwert zu haben scheint und ich bin in einem akademischen Umfeld aufgewachsen - für beides kann ich nichts, aber vielleicht ist tatsächlich das der Grund, warum ich mit Schals behängte Vokuhila-Träger, die irgendwelche Regionalstolzparolen skandieren schon immer eher als peinlich und unangenehm empfunden habe.
Insgesamt bin ich der Meinung, dass Fußball nach wie vor der Sport des Volkes ist und als solcher der beste Indikator für die gesellschaftliche Entwicklung. Denn genauso wie sich auf politische Ebene nationale Grenzen langsam auflösen, man immer weniger in Bevölkerungsgruppen denkt und sich (zumindest als Deutscher) weder mit seiner Kirche, seinem Staat oder seiner Region identifizieren kann, desto uninteressanter wird diese Zugehörigkeitsfrage im Fußball.
Und so wie wir uns auf gesellschaftlicher Ebene trösten mit Konsum, unsere modernen Götzenbilder Flachbildfernseher und schicke Autos sind und wir uns berieseln lassen mit Geschichten aus dem völlig abstrakten, realitätsfremden Leben irgendwelcher Prominenten, sind im Fußball aus den Jungs von nebenan Markennamen geworden. Werbeikonen, die sich vermarkten lassen (müssen) und deren Popularitätsfaktor viel mehr über ihren Wert entscheidet, als ihr Können auf dem Spielfeld.
Der eiserne Vereinsfan wir nicht nur vertrieben, er stirbt auch aus. Immer mehr von denen würden sich doch ihre Aufnäher jeden Moment von der Jacke reißen und sich die des Erzfeindes aufbappen, weil die jetzt angesagter sind, sich die cooleren Stars leisten können oder was auch immer. Man denkt immer weniger in Gruppen oder im Kolektiv, sondern immer mehr an sich selbst und das schlägt sich meiner Meinung nach dann auch in einem Sport wie dem Fußball nieder. Ein Uwe Seeler, der sein Leben lang Hanseate bleibt oder ein Sepp Maier, der Bayer ist und bleibt bis zum Tode, das gibt's doch gar nicht mehr. Es fing vor rund drei Jahrzehnten an, dass die Stars für Geld in eine ausländische Liga wechselten. Das wurde damals vielerorts noch auf's Schärfste verurteilt und ist heute schon üblich. Trainer werden hin- und hergeschoben und abgeschossen, wenn sie mal drei Spiele in Folge verlieren. Da ist kein Zusammenhalt, kein Zugehörigkeitsgefühl mehr, das ist nur noch eine reine Industrie. Und wenn schon die Stars selbst keine Identität mehr besitzen, wie kann man das dann von den Fans verlangen?