So. Bin dann mal auch fertig und kann nur sagen - wow! Adventure des Jahres! Mindestens. Hier in diesem Thema dürfte in der Gesamtheit sogar nur "Sherlock Holmes" und mit Abstrichen (wegen der zu knappen Länge + dummen Ende) "Black Mirror" mithalten dürfen. "Geheimakte Tunguska" spielt ganz vorne mit bei den vergleichbaren Größen dieses Genres, womit ich jetzt z.B. Syberia und
nicht Zak McKracken meine. Und darum gibts heute auch nen XXL-Review.
Aber fangen wir vorne an...
In einem Hollywoodreifen Intro, werden wir in die Geschichte eingeführt. Ein Wissenschaftler wird aus seinem Labor entführt, seine Tochter findet nur noch durchsuchte Räumlichkeiten vor. Der Spieler übernimmt nun die Rolle der Tochter, Nina Kalenkow mit Namen und begibt sich auf die Suche nach ihrem Vater. Sie findet sehr schnell Hinweise auf diverse Expeditionen des Vaters in die sibirische Tunguska Region. Dort gab es im Jahre 1908 eine gewaltige Explosion, von der man bis heute nicht genau weiß, wie und was und überhaupt. (Dieses Ereignis fand übrigens tatsächlich statt - wer sich informieren möchte:
Wikipedia hilft.) Es dauert nicht lange und Nina findet in Max Gruber und einem Vertrauten ihres Vaters, einem gewissen Oleg, hilfreiche Partner. Und dann gibt es noch diese ominösen Gestalten in den dunklen Kutten, die immer mal wieder auftauchen und meist nix gutes im Schilde führen - genausowenig wie der undurchsichtige Kommissar Kanski. So werden Nina mehr als nur ein paar Hindernisse auf den Weg zur Lösung der "Tunguska-Frage" gelegt.
Mich persönlich machte der Einstieg natürlich froh, denn das Spiel startet in Berlin. (siehe das Bild oben - ein Wartburg 311 mit Berliner Kennzeichen in einem Top-Adventure - das ich das noch erleben darf
) Endlich, möchte man mal sagen. Und doch schade, dass die Entwickler hier einen (für Kenner) großen Fehler gemacht haben. Denn das Naturkundemuseum in Berlin, in dem die Geschichte anfängt, sieht 1) völlig anders aus und beherbergt 2) kein Tyrannosaurus Rex Modell, sondern ein echtes 23 Meter langes Skelett eines ausgewachsenen Brachiosaurus. Das größte aufgebaute Skelett weltweit, wohlgemerkt. Vielleicht gab es daher ja eine Art "Lizenzproblem", anders kann ich mir diesen "Fehler" nicht erklären. Andererseits wollen wir ja aber auch nicht päpstlicher sein als der Papst.
Denn "Geheimakte Tunguska" kann ja ansonsten bei allen spielrelevanten Themen vollzählig punkten. Fangen wir bei der Grafik an. Mit einem Wort: Umwerfend! Ich habe höchstens in "Keepsake" schönere Grafiken gesehen. Die Hintergründe sind voller Details und realitätsnah gezeichnet. Dazu sind die meisten Bilder mit zahlreichen butterweichen Animationen bestückt, welche das Spiel ungemein lebendig wirken lassen. Vorallem die Qualität dieser Animationen hat mich beeindruckt. Auch die Spielfiguren können überzeugen, auch wenn Nina etwas hüftsteif daherkommt. Absolut sehenswert sind auch die zahlreichen und manchmal minutenlangen Ingame-Sequenzen, welche die spannende Story immer weiter nach vorne treiben.
Der Sound kann ebenso überzeugen. Auf Musik wurde weitestgehend verzichtet, und wenn doch, kommt das Orchester punktgenau zum richtigen Moment bedrohlich oder spannungsgeladen daher. Die zahlreichen Soundeffekte passen stets und immer und unterstützen die Lebendigkeit der Lokalitäten ungemein. Dazu kommen Synchronsprecher, die ihr Werk verstehen. Wirklich erkannt habe ich nur die Stimme von Jean Luc Picard (weiß nicht welcher seiner beiden Sprecher es war...) und von Lisa Simpson, in der Rolle eines kleinen Mädchens. Hier wäre eine echte Mädchenstimme vielleicht besser gewesen - ein netter Gag war es allemal. Nina soll angeblich die Stimme von Angelina Jolie bekommen haben, was ich aber ehrlich gesagt nicht rausgehört habe. Jedenfalls leistete sich kein Sprecher irgendwelche Fehler, alle klingen absolut glaubwürdig.
An dieser Stelle muss ich auch mal auf ein anderen positiven Aspekt bei "Geheimakte Tunguska" eingehen - das Spiel steckt voller Gags und Seitenhiebe. So ist an einer Stelle z.B. von einem "Roten Hering" die Rede und woanders sagt Nina an einer Stelle, wo sie eine Aktion nicht ausführen kann, zum Beispiel "Andere Leute würde jetzt sagen 'Das funktioniert so nicht' oder 'Ich kann das nicht'". Und diese Anspielung auf so ziemlich jedes andere Adventure, ist in der Tat bemerkenswert, denn weder Nina noch Max wiederholen sich in ihren Sätzen merklich. Jede Aktion wird andes kommentiert und geht etwas nicht, bekommt man meist auch gleich einen Hinweis, warum es denn nicht gehen könnte.
Meistens kommt man aber ohne solche Hilfen aus, denn der Schwierigkeitsgrad der Rätsel ist moderat gehalten. Ich finde ihn nicht zu leicht und nicht zu schwer. Auf jeden Fall hat man wirklich mal viel zu rätseln, denn über 100 Objekte wollen eingesammelt und benutzt werden. Und auch hier hatten die Entwickler gute Ideen, so muss man an einer Stelle z.B. mehrere Gegenstände per "Rohrpost" zwischen Nina und Max hin und her schicken - DOTT lässt grüßen. Jedenfalls bleiben die Rätsel stets fair, auch wenn es manchmal seltsam anmutet, dass alleine durch das Umhängen eines Amuletts an einer Statue, im Keller ein Mechanismus in Gang gesetzt wird, der ein Tor hebt. Über diesen ganzen Irland-Schloß-Kellerplot könnte man eigentlich diskutieren, denn ein Geheimgang, der aus dem Schlafzimmer hinaus direkt in einen Brunnen führt, den gab es in den alten irischen Schössern SO garantiert nicht. Aber wie gesagt, dass sind keine harten Rätsel. Und wenn man doch mal Hilfe braucht, so bringt das Spiel gleich eine Hilfe mit, denn die Entwickler von "Deep Silver" bzw. "Fusionsphere Systems", haben sich was neues einfallen lassen - den sogenannten "Snoop Key". Aktiviert man ihn im Optionsmenü, kann man sich per Knopfdruck, alle Aktionspunkte in einer Szene anzeigen lassen. Echte Adventurehasen haben sowas natürlich nicht nötig, aber für Einsteiger sicher ne willkommende Hilfe, die ja das Denken nicht abnimmt, sondern nur das Suchen. Eine weitere unschätzbare Hilfe ist das Tagebuch, welches erreichte Punkte dokumentiert und gegebenenfalls auch kommentiert, so das manchmal nur ein Blick ins Tagebuch reicht, um mit einem Rätsel weiterzukommen. Interessant ist auch das Inventory-System. Manche Gegenstände verschwinden nach korrekter Benutzung, manche bleiben. Manche kann man auch mehrmals benutzen, so dass man einige Objekte nicht vergessen sollte wieder mitzunehmen.
Zu guter Letzt bleibt noch die punktgenaue Steuerung zu erwähnen. Mit der rechten Maustaste kuckt man, mit der linken agiert man. Der Mauszeiger zeigt das dann auch immer an, ob man jetzt links oder rechts was machen kann. Also narrensicher. Erwähnen sollte man dann hier noch, dass auch das Ende nicht zwingend kritikwürdig ist. Es ist mir zwar wieder etwas zu kurz ausgefallen (ich erinnere hier immer wieder gerne an das 20minütige Outro bei "Sherlock Holmes"), aber zumindest hat die Geschichte ein logisches Ende, wenn auch ab einem gewissen Punkt nicht mehr sonderlich überraschend, oder so. Die Kürze des Outros wird übrigens durch nette Einspieler während der Credits ausgeglichen. Da sieht man dann die Akteure nochmal in ein paar "Outtakes" über die man schon schmunzeln kann. Und es wird unter anderem auch klar, dass der schnodderige Kommissar Kanski nicht nur zufällig, vom Namen und vom Aussehen her, gewisse Ähnlickeiten mit einem - auch hier im Forum bereits gewürdigten - "Enfant terrible" des deutschen Films hat.
Abschließendes Fazit: Wer Adventures auch nur mag, MUSS "Geheimakte Tunguska" gespielt haben! Dieses Spiel ist ein Glücksfall für dieses Genre und eine von diesen Speerspitzen, die nur alle paar Jahre mal kommen. Die zahlreichen "Awards" sprechen für sich. Endlich mal wieder ein prachtvolles Point'n'Click, dass ohne aufgesetzte Actionsequenzen und "lange Märsche zum Strecken" auskommt.
Meine Noten:
Grafik: 1 (besser gehts wirklich nicht)
Sound: 1- (manchen könnte mehr Musik fehlen...)
Spielstory: 1- (unverbrauchtes Thema, spanndend serviert, bißchen Abzug fürs kurze Ende)
Bedienung: 1
Rätseldesign: 2 (der Schwierigkeitsgrad könnte zum Ende hin zwar etwas mehr steigen, aber dafür sehr umfang- und abwechslungsreich)
Spielmotivation: 1 (wer dieses Spiel nicht durchzieht tut mir leid)
@Kultboy: Kurz mal zu Deinem
. Ich weiß ja nicht WIE Du Adventures spielst und ich will ja weißgott auch keinem irgendwas vorschreiben. Aber ich fand es schon bei "Scratches" komisch, dass Du das innerhalb weniger Stunden durchgespielt hattest. Und jetzt nach Deiner Aussage auch wieder nur 7-10 Stunden? Ich selber habe keine Uhr mitlaufen lassen, aber in zwei Reviews im Netz, die ich gefunden habe, ist die Rede von 20 bzw. 22 Stunden Spielzeit. Ich würde bei mir auch ungefähr auf diese Zeit schätzen - und das ist
absolut okay für ein Adventure, meiner Meinung nach. Vielleicht bist Du ja wirklich so ein Rätselfuchs, aber wenn Dein Tempo "andere Gründe" hat - dann würde ich das sehr schade finden... aber wie gesagt, jeder wie er denkt. Ich jedenfalls finde "Tunguska" weder zu kurz, noch zu leicht.