Erläuterungen zu Offenbachs Barcarole
Das hier sind die entscheidenden Erklärungen zu der Barkarole aus DAS LEBEN IST SCHÖN:
. Hintergründe zur "Barkarole"
Immerhin hat sich Benigni ausdrücklich zur "Barkarole" geäußert, und zwar in seinem "Buch zum Film", das allerdings an den betreffenden Stellen auch leicht vom Film abweicht:
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zum ersten Ertönen der Barkarole im Theater:
"Die Szene spielt im nächtlichen Venedig. Auf dem Wasser im silbernen Mondschein treibt eine Gondel mit Giulietta und Niklaus. Sie singen das betörende Duett Belle nuit d´amour.
Ganz vom Zauber des Gesanges gefangen, zeichnet sich in einer Loge im ersten Rang im Licht der Bühnenscheinwerfer Doras versunkenes Gesicht ab. [...] Alle Zuschauer haben nur Augen für die ergreifende Szene, die sich vor ihnen abspielt. Nur einer schaut nicht zur Bühne, sondern zu der Loge im ersten Rang hinauf. Es ist Guido, der verzaubert die wunderschöne Dora anstarrt.
[...] Die beiden Sänger[innen] sind auf dem Höhepunkt des Duetts angelangt und setzen, von kleinen Lagunenwellen gewiegt, zum Finale der Barkarole an. [Genau dann:] Dora läßt sich nicht ablenken, ihre Augen glänzen.
[...]
Leicht zusammenschreckend, kommt Guido [der gerade anscheinend Dora "beschworen" bzw. hypnotisiert hat] wieder zu sich und wendet schließlich den Kopf nach vorn, um sich ebenfalls der betörenden Schönheit der Oper zu überlassen." zitiert nach [1], S. 59f
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zum letzten Ertönen der Barkarole im KZ:
"Der betörende Gesang der Barkarole verliert sich im dichten Nebel. [...] Ganz deutlich sieht sie [Dora] den Mond, der den Nebel erhellt [...] Da begreift sie, daß es eine Serenade für sie ist."
Allerdings finde ich es etwas seltsam, wie Benigni daraufhin angegriffen wird:
Die Musik wird also von Benigni vor allem als "betörend" empfunden (bzw. eingesetzt), evoziert geradezu Trancezustände und ist mit einer unwirklichen Atmosphäre verbunden (Mondschein, Nebel).
Solch eine Deutung der Wirkung von Musik ist allemal unfassbar und unbelegbar - und beschreibt vielleicht dennoch am besten die Wirkung der Musik auf jeden, also auch auf Laien (inkl. der Hauptfiguren), selbst bzw. vielleicht gerade dann, wenn sie (wie ich) keine musiktheoretische Ahnung haben.
(Es ist wie mit stilistischen Mitteln etwa in Lyrik: sie wirken subkutan [und vielleicht sogar verschärft] auch und gerade dann, wenn man sie nicht detailliert erkennt. Beispielsweise kann ein Rhythmus tatsächlich den Herzschlag des Zuhörers beschleunigen oder verlangsamen, also direkt körperlich durchschlagen - und in einem Abwasch gleichzeitig auch emotional wirken, nämlich euphorisch machen: weshalb sonst [außer, um - wie im Film beim ersten Abspielen der Barkarole - Frauen kennen zu lernen; was aber nicht zufällig mit der Musik zusammen hängt] ginge man in eine Disco?!, und genau deshalb trifft ja die textliche oder musiktheoretische Diskussion über Discomusik oder Operettentexte nicht den Kern.
Und ich werde ja den Verdacht nicht los, dass der 3/4- bzw. - wie hier in der Barkarole - 6/8-Takt vielleicht am nächsten am Herzschlag mit Pause/Systole/Diastole
liegt und ihn gerade durch seine minimalen Abweichungen tatsächlich am besten "massieren" kann, bis uns "das Herz hüpft". Weshalb sonst erzeugt ein 3/4- bzw. 6/8-Takt verlässlich ein Wiegen und Schunkeln vieler Gleichgestimmter bzw. Gleichgetakteter [was ja immer auch eine sublime Form von chinesischer Tropfenfolter ist]?)
Insoweit verlässt sich Benigni hier also auf die rein emotional-körperliche Wucht der Musik, die auch dann funktioniert, wenn man weder die Musik analysiert noch ihren Text versteht noch gar weitere Hintergründe kennt.
(Und Benigni trägt die Barkarole ja auch dick auf: anfangs hört man noch das Kratzen der Schellackplatte, später dann aber [sobald die Kamera den Raum verlässt] wird in feinstem Hifi-Stereo aufgedreht: da braucht man schon - mitten im KZ! - ein hübsches Dolby-Surround-Kino; die Musik befreit sich sozusagen von den Gegebenheiten.)
D.h. Benigni spielt hier mit der Schlager-Qualität der Barkarole, die sie zu einem der "tops of the pops" der klassischen Musik gemacht und völlig aus der sonstigen Oper rausgelöst hat. Und die sonstige Oper spielt ja auch im Film keine Rolle.
Die subkutan emotionale Wirkung ist ja die schönste, erstaunlichste, aber eben auch potentiell gefährlichste Eigenschaft von Musik: selbst der kritischste Geist kann sich nicht ganz entziehen, man wird "reingelegt" bzw. rein gesogen.
Was aber ist es, was diese Musik so "betörend" und überaus erfolgreich macht? Nun, auf diese Frage ist wohl grundsätzlich keine eindeutige Antwort zu finden: es gibt kein Patentrezept für "Hits", und wenn es solch ein Patentrezept gäbe, würde jeder Popschreiberling es natürlich sofort anwenden. Nur einige haben das Patentrezept "im Blut", z.B. die Beatles oder Abba oder Andrew Lloyd Webber. Die Antwort kann aber auch deshalb nicht eindeutig sein, weil Rezeption und Kunstgeschmack letztlich subjektiv sind (ich z.B. empfinde den Anfang der Barkarole nicht als "bedrohlich" [s.u.]).
Ich finde es etwas schräg, das Stück als eigentlich total poppig zu bezeichnen und ihm gerade mal "Schlager-Qualität" zu bescheinigen, es als klassische Musik im Prinzip gar nicht zu akzeptieren.
Was soll denn das? Benigni ist schließlich kein Musikprofessor. Er hat da ein Stück gefunden, das auf ihn betörend und romantisch wirkte, also lasst ihn doch machen. Ganz davon abgesehen, dass es bei den Zuschauern (und auch mir) ebenso wenig seine Wirkung verfehlt hat. Und dann wird in der Tatsache herumgebohrt, dass das Thema der Oper und ihre Figuren (E.T.A. Hoffmann z. B.) ja eigentlich sehr deutsch seien und die Oper somit selbst irgendwie eine deutsche. Mein Gott!! Ja und? Kluger Spruch von Freud dazu: "Manchmal ist eine Zigarette eben doch nur eine Zigarette".
Entschuldige also bitte lieber Klugscheisser-Oberlehrer Heiner Stauff, wenn unsere aller ungeschulten Gehöre eine solch minderwertige Vertonung "betörend" finden und wenn der doofe Benigni das Stück aus seiner eigentlichen Bedeutung herausreisst und ihm eine neue zuteilt.
Na und? Solange es überhaupt nicht Benignis Anspruch war, hier hundertprozentige Authentizität und Korrektheit zu wahren, kann man ihn doch auch getrost seine Filmmusik einsetzen lassen, wie es ihm beliebt. Künstlerische Freiheit nennt sich das, glaube ich.
Daran scheitern meiner Meinung nach auch die meisten Filmkritiken: Immer die eigenen abgesponnenen Ansprüche und Vorstellungen als Bewertungsmaßstab ansetzen zu müssen.
Überhaupt ist die gesamte Bewertung dieser, Benignis Auseinandersetzung mit dem Nazi-Thema ist doch arg moralinsäurehaltig und mit erhobenem Zeigefinger daherkommend. Es als pervers zu bezeichnen, Schüler Klausuren über ein solches Thema schreiben zu lassen und solche Worte wie "KZ" dann auch noch wertenderweise korrigieren zu müssen, das erscheint mir einfach nur lächerlich. Um Himmels Willen, man muss über alles reden können und dürfen und man muss vor allem auch über alles lachen dürfen.
Wo hast Du das denn nur her, Deathrider?
Na immerhin habe ich herausgefunden, dass es sich bei der Oper um die Barkerloe aus "Hoffmanns Erzählungen" von Jaques Offenbach handeln muss.